Logo Lpb

Jugendliche zwischen Widerstand und Widersetzlichkeit

Zahllose Jugendliche und junge Erwachsene wurden während des „Dritten Reiches“ verfolgt, weil sie politischen Widerstand geleistet haben oder aus anderen Gründen mit dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch in Kollision geraten sind.

Junge Mitglieder linker Parteien und Verbände, die allesamt zuvor schon die Nationalsozialisten bekämpft hatten, nahmen nach der Machtübertragung an Hitler die Widerstandsarbeit mutig auf. Wegen ihrer konspirativen Unerfahrenheit fielen viele von ihnen schon bald dem NS-Fahndungsapparat oder auch Denunziationen zum Opfer.

Die evangelischen Jugendverbände mussten sich spätestens durch das Ende 1933 getroffene Abkommen, wonach sämtliche ihrer Mitglieder unter 18 Jahren in die Hitler-Jugend einzugliedern waren, auf die innerkirchliche Arbeit beschränken. Gleichwohl bildeten sich daraufhin kleinere oppositionelle Gruppierungen heraus, die ein jugendbündisches Leben illegal fortzusetzen versuchten. Die Jugendarbeit der Katholischen Kirche konnte dank des Konkordats vom 20. Juli 1933 zwar noch einige Zeit lang fortgesetzt werden, wenn auch ständig begleitet von massiven Behinderungen, Repressalien und Übergriffen der braunen Machthaber, die auch vor Verboten und Verhaftungen nicht zurückschreckten. Zwischen Herbst 1937 und Frühjahr 1939 erfolgte endgültig die Auflösung bzw. das Verbot der katholischen Jugendverbände. Trotzdem kam es auch in jenem Bereich vereinzelt zu Versuchen, die Verbandsarbeit illegal fortzusetzen, wogegen aber regelmäßig sofort mit aller Härte vorgegangen wurde. Jüdische Jugendliche engagierten sich nicht selten in den konspirativen Strukturen der Organisationen der Arbeiterbewegung und entwickelten außerdem verschiedene autonome Formen konsequenter Selbstbehauptung gegen die NS-Willkür, nicht zuletzt um sich gezielt auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten.

Vor allem während des Krieges entwickelten sich besondere Formen jugendlichen Protestverhaltens. Hierzu zählte die sogenannte Swing-Jugend. Diese grenzte sich bewusst vom staatlich verordneten Einheitsgeschmack ab. Insbesondere in den Großstädten, so u. a. in Frankfurt, Wiesbaden und Mainz, bildete sich eine entsprechende subkulturelle Jugendszene heraus, die sich in bestimmten Lokalitäten traf, um ihrer Passion für die vom NS-Staat als „anglophile Dekadenzerscheinung“ oder als „Juden- und Negermusik“ diffamierte Spielart des Jazz zu frönen. Sie waren dabei zunächst im Grunde völlig unpolitisch, entwickelten dann aber verschiedentlich eine ausgesprochen antinazistische Haltung. Deshalb wurden sie vom NS-Regime immer entschiedener bekämpft. Zu Abschreckungszwecken wurden einzelne Swing-Jugendliche in Fürsorgeheime, Arbeitslager und sogar ins Jugend-KZ eingewiesen.

Schließlich kam es seit Ende der 1930er, Anfang der 1940er Jahre u. a. im Rheinland zur Herausbildung von sogenannten „Wilden Cliquen“. Diese bestanden vornehmlich aus Arbeiterjugendlichen und wurden gelegentlich als „Navajos“, „Kittelbach-“ oder nach ihrem am bzw. unter dem Revers getragenen Erkennungsabzeichen als „Edelweiß-Piraten“ bezeichnet. Ihnen gemeinsam waren die Ablehnung der Hitler-Jugend und der dort praktizierten Geschlechtertrennung, häufige Treffen in Parks, gemeinsame Fahrten an den Wochenenden sowie eine einheitliche, aber nicht uniformierte Kleidung, die nicht selten der bündischen Tracht nachempfunden war. Auseinandersetzungen mit dem Streifendienst der Polizei sowie mit dem der Hitler-Jugend waren unausweichlich. Mitunter waren freilich die Übergänge zu jugendlicher Bandenkriminalität faktisch fließend. In manchen Fällen entwickelten jene Gruppierungen ansatzweise sogar politisch-oppositionelle Aktivitäten. In Lahnstein, Trier, Koblenz, Cochem, Beuren, Kaisersesch und vielen anderen Gemeinden des späteren Bundeslandes Rheinland-Pfalz wurden öffentliche sowie Parteieinrichtungen zunehmend zu Objekten des Zerstörungswillens Jugendlicher, was aber nach den polizeilichen Ermittlungen regelmäßig als Ausdruck kriegsbedingter „Verwahrlosungserscheinungen“ ohne erkennbaren regimefeindlichen Hintergrund angesehen wurde.

Alle hier vorgestellten Formen des Widerstands- und Selbstbehauptungswillens, der regimekritischen Widersetzlichkeit und des nichtsystemkonformen Verhaltens Jugendlicher dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die deutsche Jugend in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht nur problemlos in die Gliederungen der Hitler-Jugend einfügte, sondern sich mehr noch voller Begeisterung vom NS-Staat für dessen nicht zuletzt auch militärische Zwecke instrumentalisieren ließ.

Autor: Axel Ulrich

Die Michaeltruppe

Die beiden befreundeten Schüler Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler waren zunächst von den Ideen des Nationalsozialismus begeistert. Unter dem Eindruck der Verfolgung ihnen bekannter Geistlicher begannen sie jedoch die NS-Diktatur in Frage zu stellen. Im November 1942, damals gerade 16 bzw. 15 Jahre alt, gründeten sie eine autonome katholische Jugendgruppe und nannten sie nach dem Erzengel Michael „Michaeltruppe“. Die Gruppe hatte den Zweck, ihre Mitglieder in ihrem Glauben zu bestärken und vor den dem Katholizismus drohenden Gefahren zu warnen. In der Folge wuchs die Michaeltruppe auf ca. 50 Jugendliche aus der Region Andernach an. Nachdem die Gestapo Anfang August 1943 geheime Briefe von Hans Clemens Weiler abgefangen hatte, verhaftete man die beiden Anführer und vier weitere Mitglieder. Trotz tagelanger Verhöre in Koblenz und mehrerer Hausdurchsuchungen konnte die Gestapo nur vereinzelt belastendes Material zusammentragen. Nach einer mehrwöchigen Haft in der Jugendarrestanstalt Neuwied wurden die sechs Jugendlichen in das Straflager für Jugendliche auf der Burg Stahleck bei Bacharach gebracht. Während die anderen Jugendlichen im Laufe des Oktobers wieder freigelassen wurden, hatte das Reichssicherheitshauptamt  für die beiden führenden Köpfe der Michaeltruppe eine Überführung in ein „Jugendschutzlager“, eine beschönigende Bezeichnung für ein Jugend-KZ, angeordnet. Am 8. Dezember 1943 wurden sie dem Jugendkonzentrationslager Moringen überstellt. Dort mussten sie bis zu ihrer Befreiung im Frühjahr 1945 in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit leisten. Hans-Clemens Weiler starb am 11. Januar 1974 an den Spätfolgen einer im Jugend-KZ zugezogenen Tuberkulose-Erkrankung. Willi Lohner wurde Schauspieler und zog nach Hamburg. Er starb dort am 27. Januar 2007.

rlp-logo
Logo Rlp